Vom Wissen zum Handeln – BIOZENTRA bei der GfÖ 2024
Vom 09.–13. September fand die Jahrestagung der Gesellschaft für Ökologie e. V. an der TU München in Freising statt. Gemeinsam mit Prof. Leonie Fischer von der Universität Stuttgart hielten Prof. Arne Cierjacks und Nico Beier vom BIOZENTRA eine Session (Vortragsreihe) ab. Wir haben die Vorträge für Sie zusammengefasst!
Die Jahrestagung der Gesellschaft für Ökologie e. V. Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ist die größte und bedeutendste internationale Konferenz der ökologischen Forschung. Die 53. GfÖ-Conference fand in diesem Jahr unter dem Motto „The future of sustainable landuse across ecosystems, landscapes and biomes“ (Die Zukunft einer nachhaltigen Landnutzung der Ökosysteme, Landschaften und Biome) auf dem grünen Campus Freising der Technischen Universität München vom 09. bis 13. September 2024 statt. Mit rund 750 Teilnehmern war es die zweitgrößte Konferenz der GfÖ e. V. seit Beginn.
Die Anwendungslücke schließen
Wie im letzten Jahr haben Prof. Dr. Arne Cierjacks und Nico Beier vom BIOZENTRA gemeinsam mit Prof. Dr. Leonie Fischer von der Universität Stuttgart eine Vortragsreihe (Session) zum Thema Wissenstransfer und die Anwendung von Wissen aus der Forschung rund um das Thema biologische Vielfalt in die Praxis veranstaltet.
Bei der Konferenz fanden sechs dieser Sessions parallel zueinander statt. Ein Grund zur Freude war das gestiegene Interesse für die anwendungsbezogene Thematik innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft selbst. Im letzten Jahr waren es noch rund 40 Wissenschaftler*innen, die an der Session teilnahmen. In diesem Jahr waren es jedoch über 90 Teilnehmer, die an der Session „Bridging the gap between knowledge and action: Applying biodiversity knowledge in society, policy and economy“ teilnahmen, um den sechs spannenden Vorträgen zu lauschen. Ein voller Erfolg also!
Im folgenden haben wir die interessanten Vorträge für Sie zum Nachlesen zusammengefasst!
Nummer 1 – Mein Blühstreifen: Nur eine komische Phase oder ein echtes Sorgenkind?
Vortrag: „Is That normal? How to encourage farmers to stay calm when perennial wild flowerstrips go wild“ – Anne Kathrin-Schneider, Rebecca Sperber, Jens Dauber
In der Bundesrepublik Deutschland werden 50,4 % der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt (Statistisches Bundesamt, 2022). Daher kommt der Agrarlandschaft auch eine hohe Bedeutung für den Schutz der Umwelt zu. Ziel der Agrarpolitik der EU und der BRD ist es daher, die Umweltbelastungen durch Landwirtschaft zu verringern und dadurch unser Wasser, die Böden, das Klima und auch die biologische Vielfalt zu schützen.
Um das zu erreichen, gibt es beispielsweise die „Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen“. Dabei können sich Landwirtschaftsbetriebe Maßnahmen fördern lassen, die zum Schutz der Umwelt oder eben der biologischen Vielfalt beitragen. Eine Maßnahme, die sich steigender Beliebtheit erfreut, sind „Mehrjährige Blühflächen auf Ackerland“ oder auch einfach „Mehrjährige Blühstreifen“ genannt.
Bei diesen wird ein Teil des Ackers aus der regulären Bewirtschaftung genommen und eine mehrjährige Wildblumenmischung eingesät. Dieser Blühstreifen muss – damit die Förderbedingungen erfüllt werden – mindestens fünf Jahre bestehen bleiben und maximal ein Mal im Jahr gemäht werden. Ziel der Blühstreifen ist es, für Insekten, Vögel und weitere Artengruppen einen Lebensraum und Nahrung in der sonst intensiv genutzten Agrarlandschaft zu schaffen.
Doch ganz so einfach ist es leider nicht, so Dr. Anne-Kathrin Schneider vom Thünen Institut für Biodiversität (Braunschweig) im ersten Vortrag der Session. Denn nicht jeder Blühstreifen entwickelt sich so, wie man es gerne hätte. Denn auch bei Landwirten unbeliebte Unkräuter und Ungräser können sich unter Umständen im Blühstreifen breit machen und von da aus den Acker besiedeln. Doch problematische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, gestaltet sich bei der durchaus sehr unterschiedlichen Entwicklung, die die Blühstreifen durchlaufen, als nicht trivial. Wann muss der Landwirt eingreifen?
Um diesem Problem zu begegnen, haben Dr. Anne-Kathrin Schneider und ihre Co-Autor*innen gemeinsam mit landwirtschaftlichen Biodiversitätsberatern von Naturschutzverbänden einen Leitfaden entwickelt, der den Landwirten eine Möglichkeit zur Erfolgskontrolle Ihrer angelegten Blühstreifen geben soll. Darüber hinaus soll er eine Einschätzung des ökologischen Potenzials und den Landwirten einen entspannteren Umgang mit den schwer zu kontrollierenden Entwicklungen der Blühstreifen ermöglichen.
In diesen Leitfaden haben Sie Umfragen und Erfahrungen von landwirtschaftlichen Biodiversitätsberatern und eine Bildersammlung von diversen Blühstreifen einfließen lassen und den Leitfaden gemeinsam mit Landwirten getestet.
Nummer 2 – Wie wir es geschafft haben werden: Der Blick in die wissenschaftliche Glaskugel
Vortrag: „Tackling biodiversity decline within the agricultural landscape – Development of future pathways based on an expert-based scenario analysis Germany“ – Christian Sponagel, Amibeth Thomson, Hubertus Paetow, Anne-Christine Mupepele, Claudia Bieling, Martin Sommer, Alexandra-Maria Klein, Josef Settele, Robert Finger, Robert Huber, Christian Albert, Juliane Filser, Florian Jansen, Janina Kleemann, Vera Schreiner, Sebastian Lakner
Intensive Landwirtschaft ist einer der größten Treiber des globalen Verlusts der Artenvielfalt. Dafür gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse. Diesen Verlust aufzuhalten, ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Dafür bedarf es jedoch einem tiefen systematischen Verständnis der Wechselwirkung zwischen den Treibern.
In ihrer Untersuchung haben Dr. Amibeth Thomson von der Universität Freiburg (Deutschland) und ihre Co-Autor*innen untersucht, wie verschiedene indirekte gesellschaftliche und wirtschaftliche Treiber, welche sich auf die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft auswirken, miteinander wechselwirken. Weiterhin haben sie auf der Basis von Ergebnissen aus Experten-Workshops modelliert, welche Szenarios und Pfade am wahrscheinlichsten zu einem Stopp des fortwährenden Verlusts der Artenvielfalt führen. Ziel der Untersuchung ist es, Empfehlungen für politische Entscheidungsträger abzuleiten.
Sieben Szenarios, so Dr. Amibeth Thomson, führten zu einer Verbesserung der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft. Dabei zeigte sich, dass für den Erhalt der biologischen Vielfalt nicht nur eine Verringerung des Landnutzungsdrucks erforderlich ist, sondern dass es einer weitreichenden Wandlung des Systems bedarf. Dieser ist stark von der Haltung der Gesellschaft, der europäischen und nationalen Naturschutz- und Agrarpolitik, aber auch von Innovationen in der Pflanzen- und Proteinproduktion und vom globalen Markt abhängig.
Nummer 3 – Herz über Kopf: Natur muss man erfahren!
Vortrag: „From experience to action: The role of knowledge and nature-relatedness on pro-conservation behavior intentions in adolescents and adults“ – Tanja Straka, Carolin Glahe, Ulrike Dietrich, Miriam Bui, Ingo Kowarik.
Um den Herausforderungen eines globalen Verlusts der Artenvielfalt zu begegnen, braucht es nicht nur eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft für Maßnahmen. Auch auf das Handeln und auf die Konsumentscheidungen jedes Einzelnen kommt es an! Doch was ist der Schlüssel zu einem naturschutzfördernden Verhalten? Ist es Bildung? Zu verstehen, wie Natur „funktioniert“? Oder ist es eine enge (emotionale) Beziehung zur Natur, die sich durch regelmäßigen Naturgenuss vertieft?
Um das zu verstehen, haben Prof. Dr. Tanja Straka von der Freien Universität Berlin (Deutschland) und ihre Co-Autor*innen zwei Online-Befragungen von Jugendlichen (15–18 Jahre) und Erwachsenen (über 18 Jahre) durchgeführt. Wie häufig halten Sie sich im Grünen auf? Wie groß ist die Artenkenntnis? Wie stark ist Ihre Verbindung zur Natur? Haben Sie die Absicht, den Naturschutz zu unterstützen, oder inwieweit tragen Sie tatsächlich durch Ihr Verhalten zum Naturschutz bei? All diese Punkte wurden in den Befragungen erforscht.
Bei dieser Befragung kam Folgendes heraus: Die beiden unterschiedlichen Altersgruppen gaben an, ähnlich vertraut mit verschiedenen Arten zu sein und ähnlich häufig in der Natur unterwegs zu sein. Erwachsene hatten jedoch generell eine höhere Artenkenntnis, eine engere Verbindung zur Natur und stärkere Absichten, den Naturschutz zu unterstützen.
In beiden Altersgruppen hatte die Häufigkeit des Naturgenusses einen signifikanten Einfluss auf die eigene Verbindung zur Natur und damit auch auf die Absichten bzw. das tatsächliche Verhalten, zum Naturschutz beizutragen. Größeres Wissen über die Natur hingegen hatte nur lediglich einen leichten Einfluss auf das Verhältnis zur Natur und keinen signifikanten Einfluss auf das Verhalten oder die Absicht.
Die Ergebnisse der Studie von Prof. Dr. Tanja Straka und ihren Kolleg*innen machen deutlich: Der Zugang zu erfahrbarer Natur und regelmäßige Naturerfahrung sowohl bei Heranwachsenden als auch bei Erwachsenen sind ein wichtiger Schlüssel, um unsere Ökosysteme und Artenvielfalt erfolgreich zu schützen!
Nummer 4 – Biodiversität durch Naturnahe Waldbewirtschaftung fördern
Vortrag: „Can closer-to-nature forest management help maintain biodiversity and ecosystem services in European forests?“ – Ana Stritih, Judit Lecina-Diaz, Johannes Mohr, Christian Schattenberg, Christian Ammer, Nicoló Anselmetto, Jürgen Bauhus, Andrej Bončina, Matteo Garbarino, Tomáš Hlasny, Marcus Lindner, Emanuele Lingua, Davide Marangon, Donato Morresi, Thomas A. Nagel, Dominik Thom, Rupert Seidl
Abertausende Hektar abgestorbener Fichten in der Sächsischen Schweiz oder auch im Harz machen eines deutlich: Die Auswirkungen des Klimawandels machen auch vor unseren Wäldern nicht halt! Die Monokulturen mit dem „Brotbaum“ der Forstwirtschaft sind nicht zukunftsfähig. Die Anpassung an den Klimawandel ist eine der größten Aufgaben der Forstwirtschaft. Mit der neuen Europäischen Waldstrategie möchte die EU eine naturnahe Waldbewirtschaftung (Closer-to-Nature Forest Management, CNFM) fördern und damit auch in den Wäldern einen Beitrag gegen den Verlust der biologischen Vielfalt leisten.
Doch wie sieht denn eine naturnahe Waldbewirtschaftung aus? Das hängt stark von der Art des Waldes und den unterschiedlichen Waldmanagementsystemen in diesen Ländern ab. Auch hängen die Trade-offs oder Vorteile einer naturnahen Waldwirtschaft stark vom umwelt- und sozioökomonischen Kontext ab.
Um den Stand des Wissens hinsichtlich naturnaher Waldwirtschaft in Mitteleuropa zusammenzufassen, haben Dr. Ana Stritih von der Technischen Universität München und ihre Co-Autor*innen ein sogenanntes zweistufiges Delphi-Verfahren (eine Befragung kombiniert mit einem Workshop) mit Experten aus der Forstökologie und Forstwirtschaft durchgeführt. Ziel war, den gemeinsamen Konsens zu den Auswirkungen der Maßnahmen, die die EU für eine naturnahe Waldbewirtschaftung vorsieht, auf die Ökosystemleistungen und die biologische Vielfalt abzustecken.
Ergebnis: Es herrscht ein allgemeiner Konsens darüber, dass die Maßnahmen einer naturnahen Waldwirtschaft sowohl zur Förderung der biologischen Vielfalt als auch der Ökosystemleistungen beitragen. Als einziger Trade-off wurde die Holzproduktion identifiziert, da einige Maßnahmen wie z. B. Flächenstilllegungen eine Holzproduktion ausschließen. Um Anreize zu schaffen für derlei Maßnahmen, sei es wichtig, dass Waldbesitzer auch für die essentiellen Ökosystemleistungen, die ihre Wälder erbringen, entlohnt werden und damit eine Alternative zum Einkommen durch den Verkauf von Holz bekommen.
Nummer 5 – Vom Wissenschaftler zum Macher: Naturschutz aktiv mitgestalten
Vortrag: „Brazilian dry forests: From science to conservation action“ – Carlos Roberto Fonseca, Universidade Federal do Rio Grande do Norte (Natal, Brasilien)
Wenn Sie an die Natur in Brasilien denken, was fällt Ihnen als Erstes ein? Der Amazonas-Regenwald. Kaum einer kennt die Caatinga, einen Trockenwald oder Dornstrauchsavanne, die sich im Nordosten Brasiliens erstreckt über eine gigantische Fläche von 700.000 km2. Das ist doppelt so groß wie Deutschland! Doch auch hier ist die biologische Vielfalt durch Holzeinschlag, Überweisung, Brände, Straßenbau und den Ausbau von Windenergie bedroht.
Problem sei, so Prof. Carlos Roberto Fonseca, dass vielen die Bedeutung der Caatinga für die biologische Vielfalt, anders beim Amazonas-Regenwald, gar nicht bewusst sei. Erst durch den Vergleich der Artenvielfalt der Caatinga mit ganz Europa (10,5 Mio. km2, mehr als das 10-fache der Caatinga) wird den meisten klar, was für ein nationaler dieser Naturraum eigentlich ist! So gibt es in der Caatinga z. B. mehr Vogel-, Fledermaus-, Reptilien- und Amphibienarten als in allen 50 europäischen Ländern zusammen!
Doch anders als die meisten Wissenschaftler haben Prof. Fonseca und seine Kollegen nicht bei der Problembeschreibung halt gemacht. Durch gezielte Workshops und die Zusammenarbeit mit brasilianischen Staats- und Bundesbehörden, Naturschutzorganisationen und der Zivilgesellschaft konnten zunächst Gebiete, die eine besonders hohe Bedeutung für den Schutz der biologischen Vielfalt haben, eingegrenzt werden. Darüber hinaus konnten durch das Engagement ein neues Gesetz verabschiedet werden, welches die Gründung privater Nationalparks erlaubt, ein neuer Nationalpark ausgewiesen und ein Gesetz für die nachhaltige Entwicklung der Caatinga verabschiedet werden.
Dieser beeindruckende Vortrag machte deutlich, welche immensen Fortschritte durch politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Engagement von Forschenden in Bezug auf den Schutz biologischer Vielfalt erzielt werden können.
Gemeinsam mit Waldbesitzern: Trittstein-Biotope schaffen
Vortrag: „Implementing a bottom-up stepping stone program in Austria“ – Janine Oettel und Katharina Lapin
Um den Schutz biologischer Vielfalt zu fördern, wurde in Österreich ein Förderprogramm aufgelegt, wodurch naturnahe und ökologisch wertvolle Waldflächen (z. B. totholzreiche Wälder oder Auenwälder) erhalten werden sollen. Diese sollen als Trittsteinbiotope zur Vernetzung von Waldlebensräumen beitragen. Diese Trittsteinflächen (Waldflächen von 0,25 bis 25 Hektar) sollen durch Vertragsnaturschutz für 10 bis 20 Jahre stillgelegt, d. h. aus der forstlichen Nutzung genommen werden.
Das Programm verfolgte dabei einen Bottom-Up-Ansatz. Private Waldbesitzer – die in Österreich rund 82 % der gesamten Waldflächen besitzen – konnten Waldflächen registrieren und stilllegen und im Gegenzug eine Förderung von 2000-5000 € pro Hektar erhalten. Ziel des Programms war es, mindestens 500 dieser Trittsteinbiotope zu etablieren.
Und das Programm stieß auf sehr großes Interesse seitens der Waldbesitzer. Insgesamt 620 Waldbesitzer ließen sich mit einer oder gleich mehreren Flächen registrieren. Das Programm und die Umsetzung wurden vom Bundesforschungszentrum für Wald in Österreich durch ein Monitoring der Waldflächen und Befragungen der Waldbesitzer wissenschaftlich begleitet. Janine Oettel stellte die vorläufigen Ergebnisse vor.
Warum möchten Sie an dem Programm teilnehmen? Dies war eine der Fragen, die die Wissenschaftler insgesamt 125 der teilnehmenden Waldbesitzer stellten. Überraschenderweise spielte der finanzielle Aspekt eine stark untergeordnete Rolle. Vielmehr waren Forschungsinteresse und beim Naturschutz mitzuwirken die häufigsten Gründe. Trotz dessen ist für 50 % der Waldbesitzer eine finanzielle Förderung essentiell, um am Programm teilzunehmen.
veröffentlicht am 30.09.2024, von Nico Beier
Zeitraum
09.09.2024–13.09.2024
Ort
TU München, Freising
Alte Akademie 8
85354 Freising
Veröffentlichungsdatum
30.09.2024