Vom Tagebau zum Badespaß

Man sieht aus der Ferne einen Tagebau und einige Personen in Arbeitskleidung und Helmen

Ein gewaltiger Krater aus abgetragener Erde und Kohle wird beim Blick in den Tagebau Profen sichtbar. Mittendrin stehen schwere Maschinen. Ein Schaufelbagger trägt Braunkohle ab; der Abraum wird über kilometerlange Förderbänder weitertransportiert. An den Rändern des Tagebaus sind haushoch aufgeschichtete Erdhaufen zu sehen, der sogenannte Kippenboden, dessen Struktur an Rippen erinnert. Der Kippenboden ist heterogen, sehr locker und wenig tragfähig. Dass hier in Zukunft einmal Straßen, Gebäude und Seen entstehen oder Pflanzen wachsen können – kaum vorstellbar, jedoch möglich und nötig. Die Geowissenschaften sind maßgeblich daran beteiligt, und zahlreiche Forschungsprojekte der HTWK Leipzig befassen sich deshalb mit Technologien, die dazu beitragen, ehemaligen Tagebaulandschaften neues Leben einzuhauchen.

Der Tagebau Profen bleibt noch bis 2035 aktiv. Er gehört zu den letzten zehn Braunkohletagebauen in Deutschland und wird von der MIBRAG betrieben. Die hier abgebaute Kohle wird also noch eine Dekade lang in den nahegelegenen Kraftwerken in Strom, Fernwärme, Prozessdampf für die chemische Industrie sowie Bahnstrom umgewandelt. Danach ist Schluss, so sieht es das Gesetzespaket der Bundesregierung zum Kohleausstieg vor. Das Ende des Kohleabbaus bringt in den ehemaligen Braunkohlerevieren einen umfassenden Strukturwandel mit sich. Die Leipziger Seen­landschaft ist ein Beispiel für diesen Wandlungsprozess und zeigt, wie sich Folgelandschaften ehemaliger Tagebaue entwickeln können.

Den Boden sichern

Die sogenannte bergbauliche Grundsanierung ist der erste Schritt nach der Stilllegung eines Tagebaus. Dafür sind die Betreiber der Tagebaue verantwortlich. Geotechnikerinnen und Geotechniker sind von Beginn an in diesen Prozess eingebunden. Sie erfassen den Zustand der Böden und entscheiden dann mit, wie die Flächen für die jeweils geplante Folgenutzung verbessert werden müssen.

„Gleichförmige sandige Kippenböden sind eine besondere Herausforderung, da sie häufig locker gelagert sind und deshalb großen Belastungen nicht standhalten können. Um eine sichere und nachhaltige Nutzung zu ermöglichen, ist eine gezielte Bodenverdichtung oft unerlässlich. Dabei werden durch spezielle Verdichtungsgeräte große Kräfte in den Boden eingebracht, um die notwendige Bodentragfähigkeit zu erreichen“, erläutert Bénédict Löwe von der Forschungsgruppe Geotechnik an der HTWK Leipzig.

Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das Wasser: Damit in einem Tagebau überhaupt erst Kohle abgebaut werden kann, muss das Grundwasser so weit wie nötig abgesenkt und das überschüssige Wasser abgepumpt werden. Ist die Pumpe aus, steigt der Wasserspiegel wieder an. Die Gefahr, die nun besteht: Wenn das Wasser in den locker gelagerten Kippenböden ansteigt, kommt es zu erheblichen Absenkungen des Bodens. Außerdem kann sich der Boden verflüssigen; das ist für die Sicherheit von Böschungen ein großes Problem. Intensive Verdichtungen können auch diese Risiken reduzieren.

 

Ein mögliches Verfahren ist die Rolling Dynamic Compaction (RDC): Böden werden dabei mit unrunden Walzenkörpern verdichtet. Wie das RDC-Verfahren auf Kippenböden wirkt, untersuchte die Geotechnik an der HTWK Leipzig bis zum Frühjahr 2023 vier Jahre lang. Das Ergebnis: „Das Verfahren kann Kippenböden mit einer oberflächennahen Bodenverdichtung effektiv, präzise und sicher verbessern“, sagt Löwe.

Was entsteht auf Kippenboden?

Sind die Böden im ersten Schritt nach der Stilllegung verdichtet und zweifelsfrei gesichert, werden sie übergeben: in der Region an die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft. Sie kümmert sich um die zügige und wirtschaftliche Sanierung von ehemaligen Braunkohletagebauen – eine wichtige Voraussetzung für eine sichere und nachhaltige Nutzung. Dann können die Böden wieder genutzt werden, beispielsweise indem darauf grüne Energie- oder Industrieparks gebaut werden sowie Wohn-, Verkehrs- und Erholungsraum entsteht.

Ein Beispiel für einen solchen Erholungsraum ist der Cospudener See, einer der beliebtesten Badeseen im Leipziger Süden: Vor mehr als 30 Jahren war auch dieser noch ein Tagebau. Seit 1981 wurde hier mehr als zehn Jahre lang Braunkohle gefördert. Dann kam die Stilllegung durch die politische Wende und den Druck einer Bürgerinitiative. Im Jahr 2000 war die Renaturierung abgeschlossen. Heute gibt es hier einen Hafen für Sportboote, gastronomische und touristische Einrichtungen, Badestrände sowie einen asphaltierten Rundweg, der zum Fahrradfahren und Inlineskaten einlädt.

Dazu waren umfängliche Verdichtungs- und Böschungssicherungsmaßnahmen erforderlich. Und das nicht nur für den See, sondern auch für das nahegelegene Autobahnkreuz „Leipzig Süd“: Es wurde komplett auf aufgefülltem Kippenboden gebaut. Damit diese Verkehrsflächen sicher sind, wurde der Bereich umfänglich verdichtet: 650.000 Tonnen Kies in bis zu 25 Meter Tiefe stabilisieren und entwässern den ehemals lockeren KippenbodenUntergrund nun.

Bodenverbesserung für die Weiternutzung

Aus der Frage, wie der Boden ehemaliger Bergbauflächen weitergenutzt werden soll, leitet sich dann ab, ob und wie der Boden nach der Grundsanierung im weiteren Verlauf verbessert werden muss. Denn damit Häuser, Brücken oder Straßen sicher stehen, muss der Baugrund besonders tragfähig sein; im Bereich von Seen müssen die Ufer- und Böschungsbereiche vor allem gegen Rutschungen geschützt werden. Sollen aber land- und forstwirtschaftliche Flächen entstehen, sind neben der Tragfähigkeit für die Bearbeitungsmaschinen auch spezielle Bodenanforderungen für das Pflanzenwachstum zu beachten: diese brauchen lockere Böden, damit sich die Wurzeln ausbreiten und Halt finden können.

Die an die Nachnutzung angepasste Bodenverdichtung ist deshalb ein elementarer Bestandteil für alle bisherigen und zukünftigen Bauprojekte auf Kippenflächen und bedarf weiterer Forschung. „Bislang gibt es zum Beispiel keine baubegleitende Verdichtungskontrolle und keine Bewertung der Verdichtung für die auf Kippenflächen üblichen Verdichtungsverfahren in Echtzeit“, so Ralf Thiele, Professor für Bodenmechanik, Grundbau, Fels- und Tunnelbau sowie Leiter der Geotechnik-Forschungsgruppe an der HTWK Leipzig. Die Forschenden wollen das ändern.

So arbeiten sie beispielsweise noch bis August 2024 für die Impulsverdichtung an einem neuen Verfahren, das während der Ausführung die Verdichtungsfortschritte digital protokolliert. Damit wird die dynamische Intensivverdichtung noch effizienter und effektiver. Ähnliches erarbeiten die Forschenden für die Fallgewichtsverdichtung: Unter anderem wollen sie bis September 2025 mithilfe von digitalen Geländemodellen auf Basis von Drohnenaufnahmen und Laserscans Bodenoberflächen dreidimensional erfassen. Die präzisen Messungen erlauben eine Echtzeitbewertung des Verdichtungsfortschritts während der Ausführung. „Besonders im Kontext von Strukturwandel-Aufgaben kann dieses neue Verfahren zu einer ressourcen- und kosteneffizienten Sanierung von Tagebaufolgelandschaften beitragen, weil damit die notwendige Verdichtungsenergie kontrolliert gesteuert und der Verdichtungserfolg flächendeckend gesichert wird“, so Löwe.

Tagebauareale in der Nachsorge

Sind die Böden einmal grundsaniert und verdichtet, ist die Arbeit nicht getan: Der Bodenzustand der ehemaligen Tagebaulandschaften muss auch danach in einem Monitoring kontrolliert werden, damit die Tragfähigkeit und Böschungssicherheit der Böden stets gewährleistet sind. So werden zum Beispiel auch die Böden der Leipziger Badeseen regelmäßig begutachtet, damit die mögliche Gefahr abrutschender Ufer rechtzeitig erkannt wird. Aktuell wird der Baugrund mit Blick auf Dichte, Wassergehalt und Bodenart allerdings nur punktuell geprüft.

Das geotechnische Forschungsteam der HTWK Leipzig beschäftigt sich daher auch mit der Weiterentwicklung dieser Monitoringsysteme und erarbeitet in Kooperation mit einem anderen HTWK-Forschungsteam ein Sensornetzwerk, mit dem großflächig Zustandsänderungen im Boden erkannt werden können. Solche Monitoring-Maßnahmen machen beispielsweise Bewegungen von Böschungen am Ufer sichtbar. Bis 2023 führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Voruntersuchungen und eine Langzeit-Versuchsreihe am GeoTechnikum der HTWK Leipzig durch, das als Reallabor fungiert. Um die komplexen Daten auszuwerten, setzen sie Methoden der künstlichen Intelligenz ein. Derzeit wollen sie die Methodik in ein eigenständiges MessSystem überführen. Dieses kann die Nachsorge der ehemaligen Tagebauareale sicherer machen.

Ausblick

Von der Erforschung und Entwicklung neuer geotechnischer Verfahren können nicht nur Bergbau-Unternehmen profitieren, sondern auch andere Akteure aus dem Bauwesen, denn bei vielen Baumaßnahmen sind die Anforderungen an die Bodendichte hoch. „Mit unserer Forschung schaffen wir mit effektiven Lösungen die Basis für Neues auf sicherem Grund und Boden. Beispielsweise können sich neue Industrien ansiedeln und so weiterhin kluge Köpfe nach Sachsen ziehen“, so Thiele.

Und was passiert zukünftig im Tagebau Profen? Hier bereitet die MIBRAG bereits die Rekultivierung des Abbaufeldes Schwerzau im Süden des Tagesbaus vor, denn dieser Teil ist bereits ausgekohlt. Auch hier sollen künftig ein Badesee und an dessen Rand Windkraftanlagen entstehen. So transformieren sich ehemalige Braunkohletagebaue zu Seen und den grünen Energielandschaften von morgen.

#vorgestellt

Prof. Dr.-Ing. Ralf Thiele (*1963) wurde 2006 auf die Professur für Bodenmechanik, Grundbau, Fels- und Tunnelbau an der HTWK Leipzig berufen.

Der Bauingenieur promovierte 1996 an der Technischen Hochschule Leipzig im Rahmen von ersten gesamtdeutschen Forschungsprojekten. Zehn Jahre lang befasste er sich in der Baupraxis mit Walzenentwicklung und Verdichtungskontrolle – zwei Forschungsthemen, die er an die Hochschule brachte. Hier entwickelte er den Forschungsbereich Geotechnik an der HTWK Leipzig, zu dem die Forschungsgruppe G2 Gruppe Geotechnik und die Transfergruppe GEONETIC gehören.

Zuletzt war Thiele von 2019 bis 2023 Prorektor für Forschung der HTWK Leipzig.

#gutzuwissen

Das Mitteldeutsche Revier ist heute das drittgrößte Braunkohlerevier in Deutschland. Es erstreckt sich auf rund 50.000 Hektar über Teile von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Etwa 75 Prozent davon sind derzeit Kippenflächen, die bis zu 65 Meter mächtig sind. Weitere zehn Prozent der Gesamtfläche sind Seengebiete. Erste Funde von „brennbarer Erde“ und „pechhaltigem Holz“ bei Meuselwitz sind für das Jahr 1670 belegt. 2022 wurden hier mit 17 Millionen Tonnen 13 Prozent der Gesamtbraunkohlemenge der Bundesrepublik gefördert, fast ausschließlich für die Erzeugung von Strom und Wärme.

Das Lausitzer Revier ist heute nach dem Rheinischen das zweitgrößte Braunkohlerevier in Deutschland. Es besteht aus Abbaugebieten in der Niederlausitz in Brandenburg und der nördlichen Oberlausitz in Sachsen. Hier wird seit dem 18. Jahrhundert Braunkohle abgebaut, zunächst als Dünger oder zum Heizen. Braunkohle diente zu DDR-Zeiten als Hauptenergiequelle, Zehntausende arbeiteten in Lausitzer Großtagebauen und Kraftwerken. Auch heute ist die Braunkohle-Industrie mit rund 7.400 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Region. Im Jahr 2021 wurden hier mit 46,8 Millionen Tonnen 37 Prozent der Gesamtbraunkohlemenge der Bundesrepublik gefördert.

 

Der Beitrag erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke der HTWK Leipzig.

veröffentlicht am 01.08.2024, von Dr. Franziska Böhl

Teilprojekte

Ort

Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig
Karl-Liebknecht-Straße 132
04277 Leipzig

Veröffentlichungsdatum

01.08.2024

Kontakt

Porträtfoto Ralf Thiele

Prof. Dr.-Ing. Ralf Thiele

Projektmitarbeiter

Tel.: +49 341 3076-6316

M.Eng. Alexander Knut

Projektmitarbeiter

Tel.: +49 341 3076 6254

Zurück zur Übersicht
Eine gemeinsame Initiative von Innovative Hochschule, Bundesministerium für Bildung und Forschung und Gemeinsame Wissenschaftskonferenz GWK